72. Internationale Bergische Kunstausstellung
Kunstmuseum Solingen

28.9.-11.11.2018

Where seeing feels sensible and understanding is more of a notion

Objects in Pia Krajewski’s paintings are selected according to a specific poetic value: With their appearance they must trigger questions about their meaning. Thus, lemons, arms, tables, flowers and images represent irritating reproductions of their everyday contexts; presenting themselves simply and clearly, but not merging into any clear context of meaning.

The objects become unneedy and at the same time integrable parts of a collaged situation. The collage questions the meaning of the narrative (what does the hawk want with the Holbein painting?) and the meaning of the form (is this an abstract color field or wallpaper?). Thus, the observer is confronted with a world of imagery void of stringent narrative, yet formally meaningful – seemingly – as the depicted objects acquire a uniform structure on the plane and in what is painted.

But how can the viewer react in this situation? Curious and joyful, they can begin an aesthetic process which is about constantly developing new variants and fine gradations of vision and understanding. At the point where seeing feels sensible and understanding is more of a notion, distanced viewing becomes a physical matter because it no longer clearly transitions into an intellectual activity. Rather, one must strain the basic physical conditions and possibilities of perception:

When you see how images are embraced by arms, you do not just understand intellectually, but physically follow what is going on. Hormones and neurons re-enact their experiences and associate a complex that one feels and thinks. Out of the depths and heights of a human, an understanding of the seen arises.

In Pia Krajewski’s work, when a finger presses in a vase, this becomes possible because of the structure of the painting and thus also speaks of the physical test of the seen painting. It speaks of the artist, who tries to find a way of dealing with painted things and notices that one has to rethink their way of looking, but also get involved in a medium and its conditions.

The arms show the possibilities and limitations of a medium, but also of perception. They enable to act in the flat world of images, but that is where they become objects just as questionable – whose potentials can only be retrieved through viewing and association.

It is about the aesthetic negotiation of every thing: explicit artworks as well as everyday objects exert their pressure on us. Formally, how should Hans Holbein’s painting mean more than a flower? Or what else should they be but a table? What value does something receive, by what standards in which situation?

The painted objects are relativized and released from their hierarchy. Not that everything becomes the same and ceases to matter. Rather everything becomes new interesting as long as it remains viewable. It addresses a potential that remains after deduction of canonical-superficial meanings. The moment in which the bat seems interesting is a result of not only the bat’s importance in the ecosystem or only to the appearance of the movement but a result of the potential of negotiating both aspects.

It’s hard to say what came first: sight or understanding. Probably one has to consider a third, namely a pleasurable, searching attitude of the observer. As gentle as touches are in her images, so gentle may the images touch the viewer. It is a delicate process of interconnected physicality and intellectuality through a sensitively guided perception that allows us to pay attention to new areas in our lives.

 

Words by Philip Wiehagen

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Wo Sehen sich sinnig anfühlt und Verstehen eher eine Ahnung ist

Die Gegenstände in Pia Krajewskis Bildern werden nach einem speziellen poetischen Wert ausgewählt: Mit ihrer Erscheinung muss gleichzeitig eine Fragwürdigkeit ihrer Bedeutung aufblitzen. So stellen die Zitronen, Arme, Tische, Blumen und Bilder irritierende Wiedergaben ihrer Alltagszusammenhänge dar, weil sie sich einfach und klar darbieten, aber in keinem eindeutigen Sinnzusammenhang aufgehen.

Die Objekte werden zu genügsamen und gleichzeitig integrierbaren Teilen einer collagierten Situation. Die Collage stellt die Frage nach dem Sinn der Erzählung (denn was will der Falke mit dem Holbeingemälde?) und nach dem Sinn der Form (ist das ein abstraktes Farbfeld oder Tapete?). So sieht sich der Betrachter einer Bildwelt gegenüber gestellt, die nicht stringent erzählt aber formal sinnig zu sein scheint, denn in der Fläche und dem Gemalten bekommen die dargestellten Gegenstände eine einheitliche Struktur.

Aber wie kann der Betrachter in dieser Situation reagieren? Neugierig und lustvoll kann er einen ästhetischen Prozess antreten, in dem es darum geht, stetig neue Varianten und feine Abstufungen von Sehen und Verstehen zu entwickeln. An dem Punkt, wo Sehen sich sinnig anfühlt und Verstehen eher eine Ahnung ist, zeigt sich distanziertes Betrachten als körperliche Angelegenheit, weil es nicht mehr klar in eine vergeistigte Tätigkeit übergeht. Vielmehr muss man die körperlichen Grundbedingungen und Möglichkeiten des Wahrnehmens strapazieren:

Wenn man sieht wie Bilder von Armen umarmt werden, wird nicht einfach intellektuell verstanden, sondern körperlich nachvollzogen, was passiert. Hormone und Neuronen reinszenieren ihre Erfahrungen und assoziieren einen Komplex zusammen, den man fühlt und denkt. Aus den Tiefen und Höhen eines Menschen erwächst so ein Verständnis des Gesehenen.

Wenn in Pia Krajewskis Arbeit ein Finger eine Vase eindrückt, dann wird das aufgrund der Struktur des Gemalten möglich und spricht so auch von dem körperlichen Test des gesehenen Gemalten. Es spricht von der Künstlerin, die versucht einen Umgang mit Gemaltem zu finden und bemerkt, dass man seine Art des Schauens überdenken muss, aber sich genauso auf ein Medium und seine Bedingungen einlassen muss.

Die Arme zeigen Möglichkeiten und Grenzen eines Mediums, aber auch der Wahrnehmung auf. Sie befähigen in der flachen Bildwelt zu handeln, werden da aber genauso fragwürdige Objekte, deren Potentiale man auch nur über Anschauung und Assoziation bergen kann.

Es geht um das ästhetische Verhandeln jeden Dings: explizite Kunstwerke aber auch Alltagsgegenstände üben ihren Druck auf uns aus. Wie sollen Hans Holbeins Gemälde formal betrachtet mehr bedeuten als eine Blume? Oder was sollen sie anderes sein als ein Tisch? Welchen Wert erhält was, nach welchen Maßstäben in welcher Situation?

Die gemalten Gegenstände werden relativiert und ihrer Hierarchie entbunden. Nicht, dass alles gleich und egal wird, sondern alles wird neu interessant und zwar solange es betrachtbar bleibt. Es ist ein Potential angesprochen, das nach Abzug der kanonischen-oberflächlichen Bedeutungen bleibt. Der Moment in dem die Fledermaus interessant scheint, ist nicht nur ihrer Bedeutung im Ökosystem geschuldet und auch nicht nur dem Aussehen der Bewegung, sondern dem Potential der Verhandelbarkeit beider Aspekte.

Man kann wohl kaum sagen, was zuerst da war: Sehen oder Begriff. Wahrscheinlich muss man ein drittes bedenken, nämlich eine lustvoll, suchende Haltung des Betrachtenden. So sanft wie die Berührungen in ihren Bildern sind, so sanft mögen die Bilder den Betrachter berühren. Es ist ein zarter Prozess von ineinander wachsender Körperlichkeit und Geistigkeit und zwar über eine sensibel geführte Wahrnehmung, die es uns erlauben, neuen Bereichen in unserem Leben Beachtung zu schenken.

 

Text von Philip Wiehagen

72. internationale bergische Kunstausstellung
28.9.-11.11.2018

Kunstmuseum Solingen
Wuppertaler Str. 160
42653 Solingen

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